Heute erfuhren wir, dass es für die Geflüchteten noch schwieriger geworden ist, das ausgewiesene Gebiet zu verlassen und zu Karaağaç zu kommen. Sie dürfen jetzt nur noch den Hauptkontrollpunkt benutzen. Sie müssen auch Fingerabdrücke abgeben und Körperuntersuchungen akzeptieren. Die Soldaten machen auch Fotos von ihren Augen. Wie unser Freund uns erzählte, begannen die Kontrollen um 10 Uhr morgens und gingen trotz der langen Warteschlangen im Laufe des Tages weiter. Unsere Freund*innen warteten zwei Stunden in der Schlange und erst danach erreichten sie Karaağaç. Sie waren immer noch in positiver Stimmung, als wir sie dort trafen.
Einer unserer Freunde erzählte, dass während sie in der Schlange warteten, ein Soldat ihn anschrie: “Warum lachst du?” Er antwortete: “Ich lache über nichts, aber warum schreist du?” Dann brachte ihn ein höherer Beamter in eine Ecke und schlug ihn. In einem früheren Gespräch erzählte uns genau dieser Freund, dass die Soldaten ihnen bei der Überquerung nach Griechenland helfen würden. Sie gaben ihnen sogar Haken und Seile, um den letzten verbleibenden Zaun vor dem Grenztor abzubauen. Unsere Freund*innen erzählen uns oft von Misshandlungen durch dieselben Soldaten, die ihnen beim Übertritt auf die griechische Seite “helfen”.
Wir erfuhren auch, dass, obwohl unabhängige Hilfsorganisationen nicht in das abgezäunte Gebiet eindringen durften, der Verein Yavuz Selim die Erlaubnis erhielt, einzutreten um Hilfsmittel zu verteilen. Unsere Freund*innen auf dem Feld erzählten uns auch, dass der Verein Beşir seit dem ersten Tag vor Ort präsent war und heute blaue Kleidungsstücke verteilt hat.
Unsere Freund*innen gingen gegen 23.00 Uhr zurück und berichteten, dass ihre Fingerabdrücke nicht abgenommen wurden, als sie wieder eintraten.
Heute stießen wir in der Innenstadt von Edirne auf eine Demonstration zum Frauentag. Geflüchtete, Grenzen oder der Krieg wurden trotz der Existenz einer großen Gruppe von Geflüchteten Frauen* in der Nähe der Stadt weder in der Pressemitteilung noch auf den Transparenten und Plakaten erwähnt.
Heute hatten wir auch die Gelegenheit, mit den Geflüchteten Frauen* zu sprechen. Unsere Freundinnen, die aus der Zone kamen, erzählten uns von ihren Erfahrungen, Geschichten und wie sie dies als Frauen erleben. Während wir drehten, erzählte uns eine der Frauen, dass sie ein Jahr lang im Iran Kino studiert hat. Sie bot an die Kamera zu bedienen und die Aufnahmen zu machen. Wir gaben ihr die Kamera. Dadurch lernten die Frauen, mit denen wir uns unterhielten, einander kennen, und sie waren erleichtert, weil sie die gleiche Sprache sprachen.
Sie erzählten uns, dass in der Türkei Migrantinnen vor allem von Männern schlecht behandelt werden. Ihre gemeinsame Erfahrung bestand darin, dass sie von ihren Chefs sexuell belästigt wurden. Sie erwähnten auch, dass sie für sehr niedrige Löhne arbeiten mussten, nicht einmal ihre Löhne ausbezahlt bekommen konnten und keinen Zugang zu Verfahren hatten, die ihre Rechte sichern würden. Sie erlebten auch keine große Solidarität seitens der türkischen Frauen. Durch diesen Mangel an Kontakten fühlten sie sich isoliert. Zwei dieser Freundinnen erzählten uns, dass sie zwar einen Master-Abschluss und entsprechende Fachkenntnisse hätten, aber nur ungelernte Arbeit finden könnten. Eine jüngere Freundin sagte, dass sie ihre Ausbildung fortsetzen wolle und dass dies in der Türkei nicht möglich sei. Sie sagten uns auch, dass ihre Zukunft voller Unsicherheiten zu sein schien, aber sie hatten immer noch die Hoffnung, dass sie die Grenze überschreiten und ihre Träume verwirklichen könnten. Trotz aller Schwierigkeiten, die sie ertragen mussten, ist ihr einziger Wunsch, ein normales, ruhiges und sicheres Leben zu führen.
Sie erzählten uns, dass die Bedingungen in Pazarkule für Frauen und Kinder besonders hart sind; dass die sanitären- und Aufenthaltsbedingungen sehr schlecht sind. Die Frauen in der Gegend (einschließlich sie selbst) würden ihre Zelte nicht oft verlassen, weil sie sich nicht sicher fühlten. Es gab Vorfälle von sexueller Belästigung, und eine Frau konnte vor denen fliehen, die versuchten, sie zu vergewaltigen.
Zu all diesen Problemen kommt noch die Aggression von griechischer Seite hinzu, die sehr hart ist. Mit Bedauern haben uns unsere Freund*innen mitgeteilt, dass die Heftigkeit des Tränengases gestern Abend (7. März) wirklich schlimm war und Frauen mit Babys keinen Schutz hatten. Ein anderer Freund erzählte uns, dass in derselben Nacht eine Mutter mit einem Baby im Arm in das provisorische Nylonzelt unseres Freundes geflüchtet sei. Das Baby hatte Atembeschwerden, und die Mutter winkte mit einer T-Shirt, um das Zelt zu lüften. Dem Baby ging es nun aber gut.
Als wir nach dem Kontakt zu Frauen in der Gegend fragten, erzählten sie uns, dass eine Gruppe von Frauen die Zelte besuchte, um das gemeinsame Handeln zu besprechen. Es gab jedoch keinen Konsens, da jede von ihnen anders motiviert war. Unsere Freundinnen sagten, dass sie auch diese Frauen verstanden, weil sie alle in einem Kampf für sich und ihre Kinder standen und alles tun würden, um diesen Kampf zu gewinnen.
Als wir über den Frauentag sprachen, betonten sie, dass sie von allen Frauen erwarteten, dass sie sich nicht gegenseitig diskriminieren würden. Sie erwarten auch Solidarität zwischen den Frauen ohne jegliche Vorbehalte auf Grund von Sprache, Religion und Nationalität. Ihr Wunsch für alle Frauen auf der Welt ist es, in Gleichheit und Freiheit zu leben. Wir erfuhren auch, dass einige Frauen eine Frauentagsdemonstration in der Gegend organisierten. Es bedarf weiterer Aktivitäten, die sich an Frauen und andere gefährdete Gruppen in der Region richten.
Wir denken auch, dass der Austausch unserer Erfahrungen bei der Planung und Koordination für neue Initiativen nützlich wäre:
– Unser heutiges Gespräch mit Migrantinnen rief uns in Erinnerung, wie wichtig es ist, die Gleichberechtigung der Geschlechter in unserer Arbeit zu gewährleisten.
– Alle Neuankömmlinge brauchen eine Orientierung darüber, was hier vor sich geht und welche materiellen Bedingungen herrschen. Kurze Besuche ermöglichen nur eine kurze Einarbeitung, aber längere Aufenthalte sind emotional und körperlich sehr anstrengend.
– Deshalb bevorzugen wir Gruppen, die zwischen 2-5 Tagen bleiben können. Wir können unsere Aktivitäten in Gruppen von 2-5 Personen durchführen. Mehr Personen sind nicht notwendig, und größere Gruppen erhöhen das Risiko, dass sich Beamte einschalten. Wenn die Menschen vor Ort sein und Zeit und Arbeit aufbringen wollen, gibt es viele politische und praktische Bereiche, in denen sie sich einbringen können. Wir verfügen derzeit über einen Kreis von Freiwilligen, der in den kommenden Wochen für eine Rotation ausreichen würde. Wenn wir weitere Freiwillige benötigen, werden wir erneut einen Aufruf veröffentlichen.
No border Pazarkule/Edirne