3 März 2020 Pazarkule/Evros Tag 4

Für unseren Bericht am 4. Tag möchten wir zunächst die Bedeutung von Schichten und Rotation zur Aufrechterhaltung unserer Aktivitäten hervorheben. Wir schlagen vor, dass diejenigen, die bereit sind, sich an der Koordination zu beteiligen, durch eine*n einzige*n Ansprechpartner*in vermittelt werden könnten. 

Als Team der Schicht für Tag 4 verließen wir Istanbul um Mitternacht. Unterwegs wurden wir zweimal an den Polizeikontrollen angehalten, zuerst 28 km von Edirne entfernt um 03.20 Uhr und dann auf der Meric-Brücke um 03.50 Uhr. Bei der ersten Kontrolle wurden wir gefragt, ob sich Geflüchtete im Auto befänden. Bei der zweiten Kontrolle fragten die Beamten neben der oben genannten Frage auch nach unseren Namen und unserem Ziel. Wir teilten ihnen mit, dass wir nach Karaagac fahren und uns auf den Weg zu dem aktuellen Team auf dem Feld sind, das dort auf uns wartet.
Als wir morgens aufwachten, liefen wir durch den Feldweg vom Dorf Karaagac zum ersten Kontrollpunkt in Pazarkule, um die Situation auf dem Feld zu beobachten. Anders als an den Tagen zuvor war das Feld vollständig von Polizeiabsperrungen umgeben. Die Zugänge zum Grenzübergang und zur Pufferzone wurden durch die Errichtung eines einzigen Eingangs kontrolliert, und es war uns nicht mehr möglich, die Zone durch die umliegenden Ebenen zu betreten oder zu verlassen. Wir konnten nicht mehr in die Pufferzone und den Punkt Null, wo wir am zweiten Tag hineinkamen, gelangen. Wir denken, dass die neue Situation hier auf die öffentlichen Besuche am Grenzübergang zurückzuführen ist, gepaart mit der allgemeineren Absicht, das Gebiet zu kontrollieren. 
Während wir in das Gebiet gingen, telefonierten wir mit Dr. Ertugrul Tanrıkulu, dem stellvertretenden Bürgermeister von Edirne und Stadtratspräsidenten. Wir informierten ihn über unsere Absicht, in der Zone kostenlose Suppe zu servieren. Er erzählte uns, dass jegliche Hilfe von Einzelpersonen vom Gouverneur und der AFAD verboten sei und dass die Generaldirektion für Migration die einzige Organisation sei, die über den Kontrollpunkt hinaus Hilfe leisten dürfe. Er informierte uns auch, dass alle individuellen oder institutionellen Hilfen, die aus verschiedenen Teilen des Landes geschickt werden, in der Ärztekammer von Edirne unter der Koordination des Stadtrates gesammelt werden. Diese Hilfsgüter werden an die AFAD und die Generaldirektion für Migration weitergeleitet, damit sie regelmäßig vor Ort verteilt werden können. Die Kontakte sind auf der Website edirnetabipodasi.org für die Zusendung von Hilfsgütern verfügbar. 
Unter diesen Umständen wurde uns klar, dass der günstigste Ort für die Suppenausgabe das Gebiet an der Kreuzung des Dorfes Karaagac vor dem Kontrollpunkt ist, wo eine aktive Bewegung von ein- und ausreisenden Geflüchteten stattfindet. Unsere Freund*innen vom Women’s Defense Network, die wir am Kontrollpunkt trafen, erzählten uns, dass es im Dorf Doyran, 25 km südlich von Edirne am Ufer des Meric-Flusses, eine Gruppe von Geflüchteten gibt, und dass die Mukhtar (lokale Behörde) selbst Hilfsgüter verteile, und sagten, dass sie auch in dieses Dorf gehen würden. Dann beschlossen wir, in das von ihnen erwähnte Dorf zu gehen, um zu prüfen, ob dies ein alternativer Ort für die Suppenausgabe sein könnte. 
Als wir in Doyran ankamen, trafen wir auf etwa 150-200 Geflüchtete, die in kleinen Gruppen, zum Teil mit Zelten, auf dem Feld verteilt waren. Es handelt sich um ein Gebiet von etwa 5 Hektar, umgeben von Pappelbäumen am Ufer des Flusses Meriç. Es gab auch viele Journalist*innen, die auf dem Feld Aufnahmen machten. Beim Betreten des Feldes zogen auch zwei UAV-Live-Übertragungen unsere Aufmerksamkeit auf sich. Es gab auch mehrere Fahrzeuge, die Kleidung an die Kinder verteilten. Wir näherten uns einem der Abholfahrzeuge und fragten, wer sie seien. Sie sagten, dass sie einzeln aus dem Gazi-Viertel kamen. Es gab auch noch andere Fahrzeuge, die in der Gegend Lebensmittel verteilten. Es kam zu einer völlig anderen Atmosphäre, als wir hörten, dass am Vortag neun Journalist*innen in Gewahrsam genommen wurden waren. Die Situation erweckte bei uns den Eindruck, als sei dies geplant worden. Wir entschieden, dass dieser Ort für eine Suppenausgabe nicht geeignet war.
Das Ergebnis der Gespräche mit den Gefüchteten in Doyran ist, dass sich viele von ihnen bewusst sind, dass sie an diesem Punkt nicht durchkommen werden. Dennoch sind sie auch pessimistisch, was die Rückkehr betrifft, da sie alles zurückgelassen haben und nicht glauben, dass sie ihr Leben dort wieder aufnehmen können. Eine der Personen sagte trotz des Wissens um die Gefahr des Grenzübertritts: “Ich werde es morgen versuchen, sonst komme ich zurück”.
Ein anderer Freund, mit dem wir auf dem Weg von Doyran zu Karaağaç sprachen, sagte, er habe gehört, dass am Busbahnhof von Edirne eine Gruppe von Geflüchteten sei. Also beschlossen wir auch, dort nachzusehen. Es waren etwa 200 Menschen in kleinen Gruppen um den Bahnhof herum. Im Gegensatz zu Doyran haben wir hier keine Journalist*innen gesehen, weder Polizei noch Gendarmerie. Unsere Freund*innen, mit denen wir kommuniziert haben, sagten uns, dass sie dort Suppe und Essen verteilen würden. Da wir dachten, dass ihre Anwesenheit ausreichen würde, kehrten wir zu unserem Wohnwagen in Karaağaç zurück, um mit der Suppenverteilung an der Kreuzung vor dem Kontrollpunkt Pazarkule zu beginnen.
Als wir um 20.00 Uhr am Kontrollpunkt ankamen, trafen wir auf Autos, die Decken und Planen zu einem Preis verkauften, der viel höher war als der des Pazarkule-Kontrollpunktes. Auf der anderen Straße, die zu der Kreuzung führte, brachten Linienbusse die Geflüchteten nacheinander in die Pufferzone. Vor dem Kontrollpunkt standen Fahrzeuge mit Live-Übertragung. Während etwa 12.000 Geflüchtete unter schwierigen Bedingungen in dem Gebiet warteten, kamen neu angekommene Personen vom Kontrollpunkt aus herein. Die Journalist*innen wurden in Pazarkule meilenweit von den Geflüchteten ferngehalten. Sie durften den Kontrollpunkt nicht passieren, da sie die Identitäten derjenigen, die versucht hatten, den Punkt zu passieren, wie in einem Fall, den wir im Dorf Doyran gesehen haben, verglichen. Wir hörten, dass sogar Journalist*innen, die ihre Identität verschleiert haben, festgenommen werden, wenn sie bemerkt werden.
Nachdem wir den verantwortlichen Gendarmen am Kontrollpunkt informiert hatten, begannen wir, unsere Küche einzurichten, indem wir den Wagen an die am stärksten frequentierten Stelle der Kreuzung stellten. Mit zwei iranischen Geflüchteten A. und R., die wir dort trafen und mit denen wir uns schnell anfreundeten, begannen wir mit den Vorbereitungen für die Suppe. Da A. ein Chefkoch der internationalen Küche ist, kochten wir eine köstliche Linsensuppe und begannen mit der Verteilung. Der Tisch, auf dem wir die Suppe verteilten, hatte sich schnell in eine kleine Versammlung verwandelt. 
Aus Solidarität,
No Border Pazarkule/Edirne