6 März 2020 Pazarkule/Evros Tag 7

Wir fuhren vom Dorf Alibey zur Turkuaz-Tankstelle in Uzunköprü, die 30 km von uns entfernt liegt. Dies ist der Ort, an den die Migrant*innen, die von der griechischen Seite zurückgeschickt werden, gebracht werden. Aber wir durften hier nicht bleiben. 
In kurzer Zeit konnten wir sehen, dass die Zahl der Migranten vor Ort im Vergleich zu den letzten Tagen abgenommen hat. Wir können sagen, dass es höchstens 100 Personen waren. Es war auch ein Fahrzeug des Türkischen Roten Kreuzes auf dem Feld. Gestern halfen hier an vielen Stellen türkische Bürgerinnen und Bürger aus der Zivilbevölkerung, die unabhängig und keiner Organisation angeschlossen sind. Aber heute durften weder Infanterie noch Gendarmerie hierher kommen.

Wir dachten, es würde keine Probleme verursachen, wenn wir zum Busbahnhof gingen, wo, soweit wir wussten, etwa 250-300 Geflüchtete warteten. Deshalb fuhren wir von Uzunköprü zum Busbahnhof Edirne weiter. Gegen 18:10 Uhr wurden wir Zeuge, wie am Knotenpunkt Havsa ein Fahrzeug kontrolliert wurde und die Geflüchteten aussteigen mussten. 
Gegen 16.30 Uhr, als wir noch unterwegs waren, erhielten wir eine Nachricht von einem befreundeten Journalisten, der sich auf einem Platz in etwa 3 km Entfernung von der Grenze in Pazarkule befand. Er erzählte uns, dass 5-6 Autos das Feld verlassen hätten und dass es einen Plan zur Räumung des Feldes gebe. Wir riefen einen befreundeten Flüchtling auf dem Feld an, um ihm diese Information mitzuteilen. Er rief uns ein paar Stunden später zurück, als er einige Nachforschungen zu diesem Thema angestellt hatte. Er erzählte uns, dass er mit einem Polizeibeamten gesprochen habe, der ihm gesagt habe, dass sie, wenn sie wollten, nach Istanbul oder in eine andere Stadt versetzt würden und dass sie das Feld so schnell wie möglich räumen müssten. 
Er erzählte uns, dass diejenigen, die das Feld verlassen wollten, mit Fahrzeugen aus dem Feld gebracht wurden, während gleichzeitig weiterhin Gummigeschosse und Gaspatronen von der griechischen Seite der Grenze geworfen wurden. Er sagte, dass auf dem Feld der Pufferzone vier der fünf Stacheldrahtzäune abgerissen worden seien und dass sie sich bis zu dem Punkt bewegt hätten, an dem “Ellada” geschrieben steht und hinter dem griechische Soldaten standen. Er sagte uns, dass die türkischen Soldaten in der Zwischenzeit mit dem Werfen von Gaspatronen auf die griechische Seite der Grenze reagierten. Am Abend trafen wir uns mit ihm. Er erzählte uns, dass sie zwischen Gasschüssen von zwei Seiten eingeholt worden seien und zeigte uns Fotos und Videos, die dies dokumentierten. 
Es war sieben Uhr, als wir am Busbahnhof ankamen. Wir hatten gedacht, dass dies ein guter Ort sei, um mit einigen der Geflüchteten in Kontakt zu kommen, da wir wussten, dass der Busbahnhof noch für Zivilisten geöffnet war. Wir parkten unser Fahrzeug an einem Ort, den die Verkehrspolizei uns zugewiesen hatte. Wir stellten unsere Küche auf und begannen zu kochen. Während unsere Suppe auf dem Herd stand, kamen 4-5 Polizisten und sagten uns, dass die Verteilung von Lebensmitteln auf Anordnung der Präfektur verboten worden sei und dass wir unsere Küche  verpacken sollten ohne Probleme zu machen. 
Wir versuchten, die Polizei zu überzeugen, indem wir ihnen sagten, dass wir Suppe für 200 Personen gekocht hätten und dass wir nicht wollen, dass sie im Müll landet. Einer der Polizeibeamten sagte uns, er verstehe, dass es gut gemeint sei, aber dass zuvor einige der Leute, die die Lebensmittelverteilung vorgenommen hatten, versucht hätten, die Migrant*innen zu vergiften. Dies sei der Grund für das Verbot. Die Polizisten gaben uns den Rat, an andere Orte zu gehen und es dort zu versuchen. 
Ein anderer Polizist sagte uns, dass viele der Geflüchteten Krätze hätten und dass wir Handschuhe tragen müssten, wenn wir mit ihnen in Kontakt kämen. Derselbe Polizist fügte später hinzu, dass es bald eine Operation geben würde, dass sie die Migranten von diesem Ort wegbringen und nach Istanbul schicken würden und dass wir nicht hier bleiben sollten, dass es besser für uns wäre, zu gehen. In der Zwischenzeit sahen wir, wie Journalisten aus der Türkei und dem Ausland Interviews mit Geflüchteten führten. 
Daraufhin sprachen wir mit einigen Migranten, ohne unsere Kochaktivitäten fortzusetzen. Von den Leuten, mit denen wir sprachen, waren einige aus Kayseri gekommen, andere aus Giresun. Ein Geflüchteter aus Afghanistan erzählte uns, dass er alles was er hatte vrekauft hatte, um von Kayseri hierher zu kommen. Jetzt wartet er hier seit fünf Tagen, aber aufgrund der erschreckenden Nachrichten hatte er Angst, an die Grenze zu gehen und dort zu warten. Er wartete hier auf die Öffnung der Grenze durch die Griechen. 
Er sagte uns, dass der Staat überhaupt nicht hierhin gekommen sei, sondern dass es die Zivilbevölkerung gewesen sei, die ihnen sehr geholfen habe. Eine andere Migrantin mit zwei Kindern erzählte uns am Busbahnhof, dass sie auf die griechische Seite der Grenze gekommen sei, wo ihr ihre Kleidung weggenommen wurde und sie geschlagen wurde, und dass sie danach in die Türkei zurückgeschickt wurde. Nun wartete sie hier auf die Öffnung der Grenzen, da sie alles, was sie hatte aufgegeben hatte indem sie hierher kam und nun keinen Ort mehr hatte, an den sie zurückkehren konnte. Die Motivation derjenigen, die am Busbahnhof warten, ist im Allgemeinen nicht an die Orte zurückzukehren, von denen sie gekommen sind, sondern einen offenen Weg nach Griechenland zu finden. 
Wir gingen zurück zu Karaağaç in der Nähe des Grenztors von Pazarkule. Wir parkten in etwa 2,5 km Entfernung von der Grenze. Die dortigen Verkäufer, die Obst, Gemüse, Eier usw. an die Migranten verkaufen, sagten uns, dass sie heute und morgen mit sehr gewalttätigen Kämpfen rechnen. 
Gegen acht Uhr hörten wir Kämpfe und sahen Rauch über dem Feld aufsteigen. 1 km auswärts des Zentrums deckten wir den Tisch, um die Suppe zusammen mit den Geflüchteten, die auf das Feld gingen, zu verteilen. Die übrig gebliebene Suppe wurde in Plastikbehälter gefüllt, damit die Geflüchteten, die auf das Feld kamen, sie dorthin bringen konnten. 
Gegen 1 Uhr morgens erhielten wir eine Nachricht von unseren Freund*innen, dass der Busbahnhof nun leer sei und die Migranten von dort weggebracht worden seien. 
Nach Mitternacht hörten wir Geräusche von Kämpfen und ab und zu Krankenwagensirenen. 
No Border Pazarkule/Edirne